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selberleben:volltext_wasistschoen [2018/11/30 18:22] jge [3. Bedingungen von »Schönheit«] |
selberleben:volltext_wasistschoen [2018/11/30 18:23] jge [4. Schönheit und Verstehen] |
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Indem ich oben unterscheide zwischen Urteilen der Form "x ist schön" und solchen wie "x ist ein schönes y", deute ich bereits an, daß ich die meisten Urteile über Schönheit für relativ halte. Das undifferenzierte "x ist schön" scheint die Schönheit von x zu nichts in Beziehung zu setzen, außer zum Wahrnehmenden bzw. Urteilenden. Gefragt nach einer Begründung oder Rechtfertigung -- "Wieso ist x schön?" "Was ist daran schön?" -- könnte geantwortet werden mit "Ich finde x schön". Darüber läßt sich nicht streiten; zu sagen "Nein, du findest es nicht schön!" ist unsinnig. Es läßt sich aber sehr wohl feststellen: "Du findest x schön, obwohl es gar nicht schön ist." Damit ist weniger behauptet, daß es einen objektiven Wert "schön" gibt, der dem 'Gegenstand' anhaftet oder nicht, als vielmehr, daß es nach Meinung des Sprechers Gründe für oder gegen das Urteil "x ist schön" gibt. Diese Gründe liegen -- das ist das Wesentliche -- nach Auffassung des Sprechers im 'Gegenstand'. Anders ausgedrückt: Ebenso wie "schön" undifferenziert wertend gebraucht werden kann, kann es deskriptiv (beschreibend) gebraucht werden. Wer sagt "Ich finde x nicht bloß schön, sondern es ist schön!", der behauptet eine Qualität von x, die ebenso wahrnehmbar ist wie seine anderen Qualitäten. | Indem ich oben unterscheide zwischen Urteilen der Form "x ist schön" und solchen wie "x ist ein schönes y", deute ich bereits an, daß ich die meisten Urteile über Schönheit für relativ halte. Das undifferenzierte "x ist schön" scheint die Schönheit von x zu nichts in Beziehung zu setzen, außer zum Wahrnehmenden bzw. Urteilenden. Gefragt nach einer Begründung oder Rechtfertigung -- "Wieso ist x schön?" "Was ist daran schön?" -- könnte geantwortet werden mit "Ich finde x schön". Darüber läßt sich nicht streiten; zu sagen "Nein, du findest es nicht schön!" ist unsinnig. Es läßt sich aber sehr wohl feststellen: "Du findest x schön, obwohl es gar nicht schön ist." Damit ist weniger behauptet, daß es einen objektiven Wert "schön" gibt, der dem 'Gegenstand' anhaftet oder nicht, als vielmehr, daß es nach Meinung des Sprechers Gründe für oder gegen das Urteil "x ist schön" gibt. Diese Gründe liegen -- das ist das Wesentliche -- nach Auffassung des Sprechers im 'Gegenstand'. Anders ausgedrückt: Ebenso wie "schön" undifferenziert wertend gebraucht werden kann, kann es deskriptiv (beschreibend) gebraucht werden. Wer sagt "Ich finde x nicht bloß schön, sondern es ist schön!", der behauptet eine Qualität von x, die ebenso wahrnehmbar ist wie seine anderen Qualitäten. | ||
- | [28] Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, das Urteil zu rechtfertigen. Vorstellbar ist, daß in einem bestimmten Bereich der Kunst, der streng reglementiert ist, die vollendete Erfüllung der Regeln in einem Kunstwerk "schön" genannt wird. Ein historisches Beispiel dafür ist der Meistersang als reglementierte Dichtkunst. In solchem Fall ist "schön" rein deskriptiv gebraucht, und es ist dann möglich, widerspruchsfrei zu sagen: "Ich weiß, daß x schön ist (da es die Regeln erfüllt), aber es gefällt mir nicht." Im alltäglichen, 'ernsthaften' Gebrauch von "schön" hingegen scheint "das ist schön", da es nicht rein deskriptiv gebraucht ist, die Mitteilung "es gefällt mir" zu enthalten. | + | Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, das Urteil zu rechtfertigen. Vorstellbar ist, daß in einem bestimmten Bereich der Kunst, der streng reglementiert ist, die vollendete Erfüllung der Regeln in einem Kunstwerk "schön" genannt wird. Ein historisches Beispiel dafür ist der Meistersang als reglementierte Dichtkunst. In solchem Fall ist "schön" rein deskriptiv gebraucht, und es ist dann möglich, widerspruchsfrei zu sagen: "Ich weiß, daß x schön ist (da es die Regeln erfüllt), aber es gefällt mir nicht." Im alltäglichen, 'ernsthaften' Gebrauch von "schön" hingegen scheint "das ist schön", da es nicht rein deskriptiv gebraucht ist, die Mitteilung "es gefällt mir" zu enthalten. |
- | [29] Der rein deskriptive Gebrauch ist aus offensichtlichen Gründen wenig interessant: | + | Der rein deskriptive Gebrauch ist aus offensichtlichen Gründen wenig interessant:\\ |
- | 1. Er ist nicht verallgemeinerbar, d.h. er funktioniert nur in dem eng umgrenzten reglementierten Gebiet. | + | - Er ist nicht verallgemeinerbar, d.h. er funktioniert nur in dem eng umgrenzten reglementierten Gebiet. |
- | 2. Er läßt die Frage "Was ist schön?" gar nicht erst aufkommen, da die Antwort einfach darin besteht, die deskriptive Bedeutung von "schön" auszufalten, und nichts weiter. | + | - Er läßt die Frage "Was ist schön?" gar nicht erst aufkommen, da die Antwort einfach darin besteht, die deskriptive Bedeutung von "schön" auszufalten, und nichts weiter. |
- | 3. Er entspricht nicht der Intuition, daß "schön" auch und gerade auf gänzlich neue 'Gegenstände' angewendet werden kann, bzw. daß es ein wesentliches Merkmal von Kunst (diesem ausgezeichneten 'Gegenstand' ästhetischer Urteile) ist, daß sie erst die Regel formuliert, der sie folgt. | + | - Er entspricht nicht der Intuition, daß "schön" auch und gerade auf gänzlich neue 'Gegenstände' angewendet werden kann, bzw. daß es ein wesentliches Merkmal von Kunst (diesem ausgezeichneten 'Gegenstand' ästhetischer Urteile) ist, daß sie erst die Regel formuliert, der sie folgt. |
- | [30] Was ist also die andere Möglichkeit, ein Urteil zu rechtfertigen, das "x ist schön" behauptet, ohne sich auf die bloß persönliche Empfindung oder auf eine bekannte Regelmenge zu berufen? | + | Was ist also die andere Möglichkeit, ein Urteil zu rechtfertigen, das "x ist schön" behauptet, ohne sich auf die bloß persönliche Empfindung oder auf eine bekannte Regelmenge zu berufen? |
- | [31] Man könnte das Beurteilte in Relation setzen zu einem kategoriellen Rahmen, für den Beurteilungsstrategien feststehen. Also wäre nicht zu urteilen "x ist schön", sondern: "Die 'Kunst der Fuge' ist eine Sammlung sehr schöner Fugen". Damit wird Kennerschaft zur Rechtfertigung des Urteils herangezogen. Ich weiß, was eine Fuge ausmacht; ich bewundere die Originalität jeder einzelnen Fuge der Sammlung in Bezug auf das Konzept "Fuge", über das ich verfüge. Ebenso schätze ich die "Sonette an Orpheus" als hervorragende Sonette. - Aber das scheint zu wenig; solche Urteile sind ja nicht bloß deutlich relativierend, sondern darin verengend. Zu sagen "Die 'Sonette an Orpheus' sind schöne Sonette" ist etwa so wie "Klimt malt schönen Jugendstil", und von da ist es nicht weit zu der Feststellung, daß "Der Proceß" ein besonders schöner Kafka-Roman ist. Kant meinte (in der Kritik der Urteilskraft), "daß man durch das Geschmacksurteil (über das Schöne) das Wohlgefallen an einem Gegenstande jedermann ansinne" (§8). Das ist richtig beobachtet und führt zu der Vermutung, das Urteil "x ist schön" sei noch in einem anderen Sinne zu rechtfertigen. Kant beschrieb auch, in welchem Sinne: Das Ästhetische nämlich beinhalte seine eigene Regel, nach der es beschaffen sei (§45 ff.). "x ist schön" behauptet dann, x sei in Relation zu sich selbst schön, oder genauer, in Relation zu der ihm eingeschriebenen Idee. Was ist damit gemeint? | + | Man könnte das Beurteilte in Relation setzen zu einem kategoriellen Rahmen, für den Beurteilungsstrategien feststehen. Also wäre nicht zu urteilen "x ist schön", sondern: "Die 'Kunst der Fuge' ist eine Sammlung sehr schöner Fugen". Damit wird Kennerschaft zur Rechtfertigung des Urteils herangezogen. Ich weiß, was eine Fuge ausmacht; ich bewundere die Originalität jeder einzelnen Fuge der Sammlung in Bezug auf das Konzept "Fuge", über das ich verfüge. Ebenso schätze ich die "Sonette an Orpheus" als hervorragende Sonette. - Aber das scheint zu wenig; solche Urteile sind ja nicht bloß deutlich relativierend, sondern darin verengend. Zu sagen "Die 'Sonette an Orpheus' sind schöne Sonette" ist etwa so wie "Klimt malt schönen Jugendstil", und von da ist es nicht weit zu der Feststellung, daß "Der Proceß" ein besonders schöner Kafka-Roman ist. Kant meinte (in der Kritik der Urteilskraft), "daß man durch das Geschmacksurteil (über das Schöne) das Wohlgefallen an einem Gegenstande jedermann ansinne" (§8). Das ist richtig beobachtet und führt zu der Vermutung, das Urteil "x ist schön" sei noch in einem anderen Sinne zu rechtfertigen. Kant beschrieb auch, in welchem Sinne: Das Ästhetische nämlich beinhalte seine eigene Regel, nach der es beschaffen sei (§45 ff.). "x ist schön" behauptet dann, x sei in Relation zu sich selbst schön, oder genauer, in Relation zu der ihm eingeschriebenen Idee. Was ist damit gemeint? |
- | [32] Es ist sicher voreilig, "Schönheit" nun durch ein anderes, scheinbar bestimmteres Abstraktum erklären zu wollen, das dem Werk eingeschrieben und dessen Regel erahnbar sei, etwa "Vollkommenheit". Das verschiebt nur die Beweislast, und zudem läßt sich "Vollkommenheit" -- wie jeder abstrakt beschreibende Begriff -- dialektisch deuten, etwa so, daß für manche Werke ihre Unvollkommenheit unabdingbar sei und daher ihre Vollkommenheit ausmache (wie man das gern von "Fragmenten" behauptet). Klar ist aber, daß eine Deutung von "Schönheit", die sich auf eine dem beurteilten Gegenstand merklich 'inhärente' Regel beruft, nur durch das Aufzeigen einer solchen Regel zu rechtfertigen ist. Diese Regel zu entdecken verlangt ein Studium des Gegenstandes und den Verdacht, die Voraussetzung eines ihm 'inhärenten' Plans. Wir können diesen Plan oder diese Regel "Gedanken" nennen, wie Arnold Schönberg das in seinen lesenswerten Essays (etwa: Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke)und für die Musik tut, und behaupten, dieser Gedanke könne 'semantische' und 'syntaktische' Eigenschaften haben, oder anders ausgedrückt: einen 'Sinn' und eine 'Struktur'. Sinn und Struktur lassen sich nicht voneinander getrennt betrachten; sie sind verschiedene Beschreibungen des einen 'Gegenstandes', des einen "Gedankens". Als Beschreibungen sind sie abhängig von der Fähigkeit des Beschreibenden sowohl zu beschreiben, als auch das für eine Beschreibung relevante wahrzunehmen. Sinnhaftes zu erkennen und zu verstehen, sind dann die Voraussetzungen für ein begründbares Urteil über Schönheit; mit 'Struktur' verhält es sich ähnlich. | + | Es ist sicher voreilig, "Schönheit" nun durch ein anderes, scheinbar bestimmteres Abstraktum erklären zu wollen, das dem Werk eingeschrieben und dessen Regel erahnbar sei, etwa "Vollkommenheit". Das verschiebt nur die Beweislast, und zudem läßt sich "Vollkommenheit" -- wie jeder abstrakt beschreibende Begriff -- dialektisch deuten, etwa so, daß für manche Werke ihre Unvollkommenheit unabdingbar sei und daher ihre Vollkommenheit ausmache (wie man das gern von "Fragmenten" behauptet). Klar ist aber, daß eine Deutung von "Schönheit", die sich auf eine dem beurteilten Gegenstand merklich 'inhärente' Regel beruft, nur durch das Aufzeigen einer solchen Regel zu rechtfertigen ist. Diese Regel zu entdecken verlangt ein Studium des Gegenstandes und den Verdacht, die Voraussetzung eines ihm 'inhärenten' Plans. Wir können diesen Plan oder diese Regel "Gedanken" nennen, wie Arnold Schönberg das in seinen lesenswerten Essays (etwa: Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke)und für die Musik tut, und behaupten, dieser Gedanke könne 'semantische' und 'syntaktische' Eigenschaften haben, oder anders ausgedrückt: einen 'Sinn' und eine 'Struktur'. Sinn und Struktur lassen sich nicht voneinander getrennt betrachten; sie sind verschiedene Beschreibungen des einen 'Gegenstandes', des einen "Gedankens". Als Beschreibungen sind sie abhängig von der Fähigkeit des Beschreibenden sowohl zu beschreiben, als auch das für eine Beschreibung relevante wahrzunehmen. Sinnhaftes zu erkennen und zu verstehen, sind dann die Voraussetzungen für ein begründbares Urteil über Schönheit; mit 'Struktur' verhält es sich ähnlich. |
===== 5. Abschließende Bemerkungen ====== | ===== 5. Abschließende Bemerkungen ====== |