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selberleben:philobar_20090213

Ursprünglich veröffentlicht: Philobar, 13.2.2009

Die Angst des Roland Reuß vor Open Access (Teil 2)

(überarbeitet 17.2.)

Fortsetzung der Kritik an Reuß Faz-Artikel.

Hier der 1. Teil.

Hier Anmerkungen zum Reuß-Artikel von Erich Steinhauer (Wissenschaftsurheberrecht) und Klaus Graf (Archivalia).

Kommentar von „Anonym“ am 13.12. zum ersten Teil:

Zu Ihrem letzten Argument des angeblichen „doppelten“ Bezahlens des Staates für wissenschaftliche Publikationen: Fakt ist aber doch wohl, dass alleine in Deutschland zehntausende von Menschen in Wissenschaftsverlagen arbeiten, die der Staat NICHT bezahlt. Diese Menschen beschäftigen sich in irgendeiner Form mit wissenschaftlichem Publizierem. Geht Ihre Theorie davon aus, dass diese Menschen allesamt sinnlose und überflüssige Arbeit leisten? Wird deren Arbeit von Universitätsmitarbeitern a) überhaupt b) besser und/oder c) effizienter (d.h. zu einem besseren Preis-Leistungsverhältnis) erbracht? Ich bezweifle das.

Vielleicht sollten wir ein paar Dinge unterscheiden, die Reuß nicht unterscheidet. Zum Beispiel die Verlage, um die es geht. Das wissenschaftliche Publikationswesen krankt ja nicht daran, dass bei Klostermann eine Monographie für 50,- € erscheint, oder auch bei Stroemfeld ein Band Kleist für 128,- €. Sondern wir reden, auch, und in finanzieller Hinsicht vordringlich, von den internationalen Großverlagen wie Elsevier, die mit marktbeherrschender Stellung jedes Jahr die Zeitschriftenpreise um einige Prozent erhöhen. Ist Ihnen Elsevier ein Begriff? Einer Börsenblattmeldung vom Februar 2008 zufolge hat Reed Elsevier den Umsatz von 2006 auf 2007 von 7,17 auf 6,1 Milliarden € gesenkt, zugleich aber den Gewinn von 828 Mio auf 1,6 Milliarden Euro fast verdoppelt. Elsevier ist einer der Auslöser für die sogenannte "Zeitschriftenkrise". Womit verdient Elsevier das Geld? Vereinfacht ausgedrückt: Sie verkaufen den Wissenschaftlern die Inhalte zurück, die die Wissenschaftler erstellt haben. Ja, natürlich investieren die auch in Infrastruktur und Vertrieb usw. Trotzdem kommt unterm Strich 1,6 Mrd Gewinn raus.

Open Access könnte auf lange Sicht ein Ausweg aus der Zeitschriftenkrise sein. Oder jedenfalls könnte OA-Konkurrenz mäßigend auf die großen Verlage einwirken.

Nun mal zurück zu Ihrem Kommentar und den mittelständischen deutschen Verlagen.

  1. denke ich, dass Ihre Schätzung „zehntausende“ falsch sind, nämlich zu hoch. Das hat Einfluss auf Ihr Argument, weil es die Menge an Arbeit reduziert, die überhaupt, „gesamtgesellschaftlich betrachtet“, in diesen Verlagen getan wird. Was denken Sie, wieviele Wissenschaftsverlage es in Deutschland gibt, die mehr als 50 Mitarbeiter haben? Wirklich 200???
  2. Natürlich tun diese Mitarbeiter etwas. Und selbstverständlich bin ich nicht der Meinung, dass diese Tätigkeit sinnlos ist. Die Frage ist nur, ob diese Feststellung als Argument taugt in Hinblick auf Open Access. Ich komme da gleich noch einmal drauf zurück.

Macht Open Access Wissenschaftler zu Opfern?

Zunächst mal will ich hier noch einmal deutlich hinschreiben, warum Reuß' Auslassungen so irritierend wirken für Wissenschaftler, die Anhänger von Open Access sind. Reuß schreibt ja, sinngemäß zusammengefasst, dass die OA-Bestrebungen die Wissenschaftler enteignen und zu Opfern machen. Die OA-Bewegung verdankt sich aber auch der Beobachtung, dass Wissenschaftler häufig bei der Veröffentlichung ihres Werks in einem Verlag alle Rechte vertraglich an den Verlag übergeben müssen. Übergeben heißt hier: Verlage lassen sich gerne „ausschließliche“ Nutzungsrechte einräumen. Und „ausschließlich“ heißt: dem Verfasser bleibt dann selbst das Recht nicht mehr. Das ist „Enteignung“, buchstäblich verstanden, oder Übereignung.

Je wichtiger eine Zeitschrift oder ein Verlag in einem bestimmten Feld sind, desto mehr Macht hat hier der Verlag in der Beziehung zum Autor. Das nennt man Machtgefälle. Autoren können sich dann nicht immer gegen die Rechteübertragung wehren. Und damit wird, was als Handel in beiderseitigem Einvernehmen beginnt, möglicherweise zur Ausbeutung.

Was könnte ein Autor dagegen haben?

Ein Autor könnte zwei miteinander nicht notwendig zu vereinbarende Interessen haben. Das erste ist, möglichst breit rezipiert zu werden. Das zweite, in einer wichtigen Zeitschrift zu veröffentlichen. Ist diese wichtige Zeitschrift sehr teuer, hat sie nicht so viele Abonnenten, wie sich der Autor wünscht. Also freut er sich zwar darüber, dass die Zeitschrift seinen Aufsatz drucken will, würde aber gern noch seinen Aufatz auf den fachlichen Pre- und Postprintserver legen. Oder er würde gern seinen Aufsatz als pdf an seine Freunde schicken. Kann er aber nicht: er hat ja schon alle Rechte an die Zeitschrift bzw. den Verlag übertragen. Die Open Access-Bewegung möchte Autorenrechte stärken.

Veröffentlicht ein Autor in einer Open Access-Zeitschrift (wie zum Beispiel BioMed Central, das Reuß ja anführt), dann behält er auch die Rechte an seinem Werk. Aber er kann es sich trotzdem schenken, den Aufsatz per pdf zu verschicken, weil es ja genügt, wenn er den Link verschickt. Jeder kann drauf zugreifen. Das bedeutet „offener Zugang“. Auf Autorenseite befriedigt Open Access das Bedürfnis, gelesen zu werden. Auf Leserseite befriedigt Open Access, lesen zu können.

Warum für WR und DFG Open Access eine gute Sache ist

Wenn eine forschungsfördernde Institution Geld ausgibt, um ihren Zweck zu erfüllen, also Forschung zu fördern, dann liegt ihr natürlich auch daran, dass diese Forschung zugänglich ist. Herr Reuß mag es vielleicht für angemessen halten, dass eine solche Institution Geld einfach verschenkt und dass der Empfänger dann nicht mehr darüber Rechenschaft ablegen muss. Darauf scheint mir seine Auslassung über den „Dirigismus“ und die Forschungsfreiheit hinauszulaufen. Aber ich halte es für legitim, dass ein Geldgeber ein bisschen Kontrolle darüber haben möchte, dass sein Geld auch Nutzen stiftet. Die DFG fördert ja die Forschung nicht darum, damit da ein Forscher seinen Interessen nachgehen kann, sondern damit die Gesellschaft was davon hat. Ein Maß für diesen Nutzen ist, wie gut die Ergebnisse rezipiert werden können. OA bedeutet: ausgezeichnet können sie rezipiert werden, weil es keine Hindernisse gibt.

Frage: Braucht eine Forschungsförderinstitution stattdessen die von Reuß vertretene wissenschaftliche Qualitätssicherung durch Verlage? Antwort: Natürlich nicht. Aus zwei Gründen: 1. OA-Veröffentlichung ist nicht gleichbedeutend mit „ohne Peer Review“, so wie Veröffentlichung in einem Verlag / in einer kommerziellen Zeitschrift nicht gleichbedeutend ist mit „mit Peer Review“. 2. Die Qualität eines Projekts wird bereits bei der Antragstellung beurteilt.

Wie kann die Verpflichtung, OA zu veröffentlichen, ein Eingriff in die Forschungsfreiheit sein? Die Art und Weise, wie die Ergebnisse veröffentlicht werden können, haben doch keinen Einfluss darauf, welche Ergebnisse veröffentlicht werden. Die Forschung findet zuerst statt, dann wird sie veröffentlicht. Reuß schreibt, es sei eine Errungenschaft, die „in den letzten 250 Jahren zum Aufblühen wissenschaftlicher Kultur geführt hat […]: das Recht, als Wissenschaftler im Rahmen staatlich finanzierter Einrichtungen frei zu forschen und zu lehren und eben auch darüber zu bestimmen, wo das erscheinen soll, was man erdacht und erforscht hat; gerade auch unter Verwertungsgesichtspunkten“.

Na, das ist eine starke These: dass die Wahl der Publikationsform zu einem Aufblühen der Forschung geführt habe. Freiheit in Forschung und Lehre bedeutet, dass man seine Inhalte selbst suchen kann. Das ist in der Tat eine tolle Errungenschaft. Nur gerät diese Freiheit nicht durch die Verpflichtung zur OA-Veröffentlichung in Gefahr.

Natürlich kann ich erklären, warum Reuß auf der „freien Wahl der Publikationsform“ bestehen möchte. Weil in seiner Konzeption von Publikationsformen es bessere und schlechtere gibt. OA hält er für schlechter, und er möchte die Freiheit haben, die bessere zu wählen. Die Motivation verstehe ich. Aber über Reuß' Kriterien für besser und schlechter kann ich nicht aufhören, mich zu wundern.

Unsittlich?

Reuß' Abschlussforderungen. Nehmen wir die erste:

  • Die mit Steuergeldern ausgestatteten (aber vom Steuerzahler nicht kontrollierbaren) Institutionen müssen aufhören, einseitig und massiv digitale Publikationsform zu Lasten des Buches zu subventionieren.

Wir haben eine Vertretungsdemokratie. Steuerzahler sind ungefähr das, was Wähler sind (darum sind Steuergeschenke Wahlkampfmittel). Reuß tut so, als würden Unis Geld ausgeben können, wie sie wollen. Aber sie werden von der Politik kontrolliert, und die Politiker werden gewählt. (Aber leider sind die gewählten Politiker noch nicht sehr weit, was OA angeht.)

Reuß tut so, als würde die DFG nicht kontrolliert – aber die DFG organisiert ja nur den Kommunikationsfluss der Wissenschaftler, wenn sie Forschungsfördergelder verteilt. Dass die DFG OA gut findet, bedeutet, dass es zumindest ein paar Wissenschaftler gibt, die ebenfalls OA für ne gute Sache halten.

Ach ja: Internet und Digital ist nicht gleichbedeutend mit OA, da lohnt die Differenzierung. Auch die großen internationalen Zeitschriftenverlage bieten ihre Zeitschriften (gedruckt und) online an. Das heißt: Vieles von dem, was in Universitäten an Medien online genutzt werden kann, ist mitnichten frei verfügbar, sondern wird teuerst bezahlt. Aber es kann schon sein, dass Reuß hier nicht auseinanderhalten mag, ob Heidelberg (oder die DFG via Nationallizenz) teure STM-Zeitschriften für den Online-Zugriff kauft oder einen OA-Server unterhält. Beides ist Geld, das nicht für gedruckte Bücher ausgegeben wird. Dies stimmt auch dann, wenn man weiß, dass die finanzielle Unterstützung von OA vielleicht langfristig die Ausgaben für teure Lizenzen senkt.

Aber es geht ja Reuß wohl nicht um die Bucherwerbung der Universitätsbibliotheken und deren Etatprobleme, sondern die Forschungsförderung seiner Arbeit. Er will Druckkostenzuschüsse statt OA-Server.

Die zweite:

  • OA braucht eine Kosten-, Nutzen- und Risikoanalyse.

Jaja, schon. Gesamtgesellschaftlich (siehe oben). Was hier bei „Risiko“ mitgemeint ist, ist das Problem der Langzeitarchivierung: Zahlen wir Druckkostenzuschüsse, damit unsere Forschungsergebnisse auch noch in 500 Jahren lesbar sind. Wünscht sich Reuß für seine Editionen, nehme ich mal an, denn dass er dabei an, sagen wir, medizinische Forschungsergebnisse denkt, glaube ich nicht.

Irritierend auch hier wieder, dass Reuß OA und digital in eins denkt. Dass etwas im Open statt Closed Access zugänglich ist, stellt ja nicht per se ein Risiko, sondern einen Vorteil dar. (Siehe dazu auch meine Anmerkung zu Uwe Jochums „Das Mediendesaster“ in BuB, hier als pdf.)

  • Das Urheberrecht ist unveräußerlich.

(Jaja, ist es, sowieso. Reuß meint die Nutzungsrechte.) Nun ist es so, dass für die OA-Veröffentlichung der veröffentlichenden Institution oder dem veröffentlichenden Verlag keine „ausschließlichen“ Nutzungsrechte eingeräumt werden müssen. Das ist ja einer der Vorteile von OA. Man kann doch sein Werk hinterher noch „verwerten“. Wohingegen es bei einer Verlagsveröffentlichung durchaus sein kann, dass man die Nutzungsrechte eben übergibt und sie danach nicht mehr hat. Ceterum Censeo. Müsste Reuß aber auch wissen.

Hier schließt sich wieder der Kreis, und wir sind bei der Frage wieder angekommen, ob die Wissenschaftspolitik die Interessen von Verlagen berücksichtigen muss, gesamtgesellschaftlich. Die Antwort ist: nein, dafür ist der Wirtschaftsminister zuständig.

Aber im Ernst. Der anonyme Kommentar, den ich oben zitiert habe, argumentiert damit, dass Verlage Leistungen erbringen. Diese Leistungen können sie doch auch im OA-Kontext erbringen: dann wird eben diese Leistung bezahlt. OA könnte ein neues Geschäftsfeld sein!

(Update 19.2.) Antwort von Gudrun Gersmann auf Reuß' Artikel in der FAZ, zu lesen bei Archivalia.

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