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selberleben:philobar_20061029

Ursprünglich veröffentlicht: Philobar, 29.10.2006

Höffe, Kant und das Urheberrecht

Der Tübinger Philosoph und Kantkenner Otfried Höffe gehört zu den Erstunterzeichnern eines Schreibens an die Bundesjustizministerin (hier als pdf), in der 500 Vertreter der Wissenschaft Protest einlegen gegen die geplante Änderung des Urheberrechts. In der FR hat er am 28. Oktober seinen Protest begründet. Dabei scheint ihn am meisten der geplante Paragraph 52b zu kratzen:

»Vermutlich noch einschneidender ist das Vorhaben, den Eigentumsschutz bei der Terminalnutzung in Bibliotheken enden zu lassen: Öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive sollen künftig jedes Werk aus ihren Beständen, selbst ein kostenlos überlassenes Pflichtstück, an beliebig vielen elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Es ist keine Panikmache der wissenschaftlichen Verlage, dass ein Gutteil von ihnen dadurch in ihrer Existenz bedroht wird. Mitbedroht sind Autoren und Buchhändler.«

Harte Worte. Und Kant ist natürlich Gewährsmann:

»Bücher sind geistiges Eigentum, in erster Linie des Autors, danach, wegen der subsidiären Leistung, des Verlegers. Gegen dieses gestufte Eigentumsrecht verstößt schon bei Kant der Büchernachdruck. Weil er den rechtmäßigen Besitzern deren rechtmäßigen Vorteil entzieht, macht er sich eines klaren Rechtsbruchs schuldig. Er begeht Kant zufolge ein Verbrechen. Dabei bleibt es sich gleich, ob ein klassisches Druckwerk vorliegt, das man in die Hand nimmt, oder ein auf dem Bildschirm gelesener Text.«

Also: Auch wenn der Staat die „Terminalnutzung“ erlauben würde, wären die Nutzer Verbrecher? Aber im Ernst. Ehrlich, liebe Leser, würden Sie auf die Anschaffung eines Brockhaus verzichten, weil sie die Artikel digital in der Bibliothek an einem speziellen Leseplatz lesen dürften? Nur um es klarzustellen: der Entwurf erlaubt weder das Ausdrucken noch das Abspeichern auf einem mitgebrachten Speichermedium. Und die Rede von „speziellen Leseplätzen“ verstehe ich als Laie so, dass diese Leseplätze zu keinem anderen Zweck genutzt werden dürften. Ich habe daher große Zweifel, dass Höffes Thesen überhaupt stimmen. Die wichtigste ist natürlich die folgende:

»Es liegt auf der Hand, dass die Verbreitung durch die Bibliotheken mittels Bildschirmen die Verkäufe der entsprechenden Bücher und Zeitschriften erheblich einschränken wird.«

Ja, liegt das auf der Hand? Ich bin Bibliothekar, also kann ich begründet einschätzen, wie sich das Kaufverhalten der Bibliotheken ändern wird. – Man muss an dieser Stelle hinzufügen, dass der Gesetzesentwurf sprachlich offenlässt, ob das Werk im Bestand der Bibliothek sein muss, was der Börsenverein weidlich für seine Propaganda ausgenutzt hat. In der endgültigen Fassung wird das aber sicher wieder drinstehen, und Höffe scheint auch davon auszugehen, dass die Bibliotheken auf speziellen Leseplätzen digitale Versionen von Büchern anbieten würden, die sie bereits besitzen, für die sie also in der Regel bezahlt haben. Dann ergeben sich folgende Fragen:

  1. Werden wissenschaftliche Bibliotheken weniger Fachbücher kaufen, weil sie diese digitalisieren und zum Lesen am Bildschirm anbieten dürfen? Ich glaube nicht: denn wissenschaftliche Bibliotheken kaufen in der Regel ohnehin bloß 1 oder 2 Exemplare. Für Lehrbuchsammlungen werden Mehrfachexemplare angeschafft, aber dafür wird immer noch Bedarf bestehen, weil ja an den Leseplätzen weder abgespeichert noch ausgedruckt werden darf. Wenn die Bibliotheksbenutzer ein Werk länger nutzen wollen, müssten sie es immer noch ausleihen.
  2. Werden öffentliche Bibliotheken weniger Bücher kaufen, weil …? Ich glaube nicht: denn deren Kunden wollen ja den neuen Harry Potter nicht am Bildschirm in der Bibliothek lesen.
  3. Werden die Bibliotheksbenutzer Bücher nicht kaufen, weil sie diese für sie kostenlos in der Bibliothek lesen können? Ich glaube nicht: eher glaube ich, dass sie das Buch nicht kaufen, weil sie es dort ausleihen (und auch privat kopieren) können.

Also: Was soll an der Nutzung am Bildschirm für den Umsatz eines Buches schlimmer sein als das, was Bibliotheken bereits tun, nämlich Bücher verleihen? Ich möchte noch, auch als Bibliothekar, hinzufügen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass wir viele derartige Leseplätze einrichten. Allein für das Digitalisieren hätten wir weder Zeit noch Geld (da gibt es wichtigere Objekte!). Auch für die übrige Infrastruktur hätten wir kein Geld: Extraleseplätze. Netzwerkserver. Usf.

Höffe nimmt auch ein Lieblingsbeispiel der Verlage auf, das sogenannte „Pflichtstück“, an das manche Bibliotheken kostenlos gelangen. Ja, tatsächlich ist es so, dass es ein nationales Gesetz und dann bundeslandspezifische Regelungen gibt. Tatsächlich muss jemand, der ein Buch publiziert (d.h. in der Regel der Verleger) 2 Exemplare kostenlos an die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt schicken, die dann ein Exemplar davon dann in der Zweigstelle Deutsche Bücherei in Leipzig aufstellt. Diese Bücher dürfen dort ohnehin nur im Lesesaal eingesehen werden – was unterscheidet das von der 'Terminalnutzung', die ja auch im Lesesaal stattfände? In den Bundesländern ist es im allgemeinen so, dass die Staats- und Landesbibliotheken ebenfalls 2 Pflichtstücke erhalten, in Baden-Württemberg z.B. geht eins an die Badische Landesbibliothek, eins an die Württembergische Landesbibliothek, wobei dort das zweite von den Bibliotheken gekauft wird. In Bayern geht ein Exemplar an die Bayerische Staatsbibliothek, eines an eine regional zuständige Bibliothek. Diese Bibliotheken in den Bundesländern können die Bücher verleihen und tun dies auch. Inwiefern sollte hier die Möglichkeit, die Bücher digital an Terminals (und nur dort) zugänglich zu machen, den Umsatz der Verlage einschränken?

Die Verlage – und nun auch Höffe und andere – haben hier eine Menge Behauptungen aufgestellt, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten würden. Reine Propaganda, die Höffe mit Kant adelt. Die kundigeren Vertreter der Wissenschaft unterstützen das Urheberrechtsbündnis, dass die Bundesregierung an ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erinnert, ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Dokumente über die verschiedenen Entwürfe und den Stand der Diskussion gibt es hier. Die Verlagspropaganda findet man nun gut zusammengefasst auf der Selbstdarstellungseite des Börsenvereins zum sogenannten 'Zweiten Korb' des Urheberrechts (audiatur bla bla et alterae partis).

selberleben/philobar_20061029.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/24 18:20 von jge