René Descartes: Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur … Erstdruck 1641. Deutsche Übersetzung von Julius Kirchmann unter dem Titel: Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie, 1870. Aus der Ersten Meditation. http://www.zeno.org/nid/20009161104
» … aber bin ich nicht ein Mensch, der des Nachts zu schlafen pflegt und Alles dies im Traume erfährt? Ja mitunter noch Unwahrscheinlicheres als das, was Jenen im Wachen begegnet? Wie oft kommt es nicht vor, dass der nächtliche Traum mir sagt, ich sei hier, mit dem Rock bekleidet, sitze am Kamin, während ich doch mit abgelegten Kleidern im Bette liege! – Aber jetzt schaue ich sicher mit wachen Augen auf das Papier; das Haupt, das ich bewege, ist nicht eingeschläfert; ich strecke wissentlich und absichtlich diese Hand aus und fühle, dass dies so bestimmt einem Träumenden nicht begegnen könnte. – Aber entsinne ich mich nicht, dass ich von ähnlichen Gedanken auch schon im Traume getäuscht worden bin? – Indem ich dies aufmerksamer bedenke, bemerke ich deutlich, dass das Wachen durch kein sicheres Kennzeichen von dem Traume unterschieden werden kann, so dass ich erschrecke, und dieses Staunen mich beinahe in der Meinung bestärkt, dass ich träume. –
Wohlan denn; mögen wir träumen, und jenes Einzelne keine Wahrheit haben, dass wir die Augen öffnen, den Kopf bewegen, die Hände ausstrecken; ja wir haben vielleicht gar keine solchen Hände und keinen solchen Körper; dennoch muss anerkannt werden, dass man während der Ruhe gleichsam gemalte Bilder gesellen habe, die nur nach der Aehnlichkeit mit wirklichen Dingen erdacht werden konnten. Deshalb muss wenigstens das Allgemeine davon, die Augen, das Haupt, die Hände und der ganze Körper nicht als eingebildete, sondern als wirkliche Dinge bestellen.«
Woher wissen wir, dass wir nicht gerade träumen? Denn wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass wir im Traum nicht gemerkt haben, dass wir träumen, und dass es kein Kriterium gibt, in dem sich der Wachzustand sicher vom Traum unterscheiden lässt.
Descartes' Szenario auf die Ununterscheidbarkeit des Traums von der Wirklichkeit ist ein Schritt auf dem Weg zum Zweifel, ihm folgt dann das Szenario vom Täuschenden Dämon.
Enthalten in: Baggini 2017, 82-84.