Blaise Pascal: Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Erstausgabe 1669/1670, Übersetzung von Karl Adolf Blech, 1840. Zweiter Theil, Abschnitt 3 »Dass es schwer ist das Dasein Gottes durch die natürlichen Geisteskräfte zu beweisen«, Sektion 5. http://www.zeno.org/nid/20009262245
»Ihr sagt also, daß wir unfähig sind zu erkennen, ob es einen Gott giebt. Indessen es ist gewiß, daß Gott ist oder daß er nicht ist, es giebt kein Drittes. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen? Die Vernunft, sagt ihr, kann aber nichts entscheiden. Es ist ein unendliches Chaos, das zwischen uns liegt und wir spielen hier ein Spiel in dieser unendlichen Entfernung von einander, wo Kopf oder Wappen fallen wird. Was wollt ihr wetten? Nach der Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andre behaupten; nach der Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen. So werfet denn nicht denen Irrthum vor, die eine Wahl getroffen, denn ihr wißt nicht, ob sie Unrecht haben, und ob sie schlecht gewählt.
A. Ich werfe ihnen vor, nicht daß sie diese, sondern daß sie überhaupt eine Wahl getroffen haben; wer Kopf und wer Wappen nimmt, alle beide haben Unrecht, das Rechte ist gar nicht wetten.
B. Ja, aber es muß gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid einmal im Spiel und nicht wetten, daß Gott ist, heißt wetten, daß er nicht ist. Was wollt ihr also wählen? Laßt uns erwägen: was euch am Wenigsten werth ist. Ihr habt zwei Dinge zu verlieren, die Wahrheit und das Glück und zwei Dinge zu gewinnen, eure Vernunft und euern Willen, eure Erkenntniß und eure Seligkeit, und zwei Dinge hat eure Natur zu fliehen, den Irrthum und das Elend. Wette denn, daß er ist, ohne dich lange zu besinnen, deine Vernunft wird nicht mehr verletzt, wenn du das eine als wenn du das andre wählst, weil nun doch durchaus gewählt werden muß. Hiemit ist ein Punkt erledigt. Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.
A. Das ist wunderbar, ja man muß glauben, aber ich wage vielleicht zu viel.
B. Wir wollen sehen. Weil gleiche Wahrscheinlichkeit des Gewinns und Verlusts ist, so könntest du noch wetten, wenn du nur zwei Leben zu gewinnen hättest für eines. Und wären zehn zu gewinnen, so würdest du unverständig sein nicht dein Leben ein zu setzen um zehn zu gewinnen in einem Spiel, wo die Wahrscheinlichkeit des Verlusts und Gewinns gleich ist. Nun aber ist hier eine Unzahl von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen mit gleicher Wahrscheinlichkeit des Verlustes und des Gewinnes und was du einsetzest, ist so wenig und von so kurzer Dauer, daß es eine Tollheit wäre es bei dieser Gelegenheit zu sparen.
Denn das dient zu nichts, wenn man sagt: es sei ungewiß, ob man gewinnen wird, aber gewiß, daß man wagt und der unendliche Abstand zwischen der Gewißheit dessen, was man wagt und der Ungewißheit dessen, was man gewinnen soll, mache das endliche Gut, welches man gewiß wagt, dem unendlichen gleich, das ungewiß ist. Dem ist nicht so: jeder Spieler wagt mit Gewißheit um zu gewinnen mit Ungewißheit und doch wagt er gewiß das Endliche um ungewiß das Endliche zu gewinnen, ohne deshalb gegen die Vernunft zu sündigen. Es ist kein unendlicher Abstand zwischen der Gewißheit dessen, was man wagt und der Ungewißheit des Gewinns, das ist falsch. Es giebt zwar einen unendlichen Abstand zwischen der Gewißheit zu gewinnen und zwischen der Gewißheit zu verlieren. Aber die Ungewißheit des Gewinnes ist im Verhältniß zur Gewißheit dessen, was man wagt, nach dem Verhältniß der Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust und daher kommt es, daß, wenn eben so viel Wahrscheinlichkeit von der einen Seite ist wie von der andern, das Spiel gleich gegen gleich steht und dann ist die Gewißheit dessen, was man wagt, der Ungewißheit des Gewinnes gleich, so wenig ist jene unendlich fern von dieser. Und so ist unser Satz von unendlicher Stärke, wenn man in einem Spiel, wo es gleiche Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust giebt, nur das Endliche wagen und das Unendliche gewinnen kann. Das ist beweisen und wenn die Menschen irgend welche Wahrheiten fassen können, müssen sie diese fassen.«
Gibt es einen Gott? Als rationaler Mensch kann man nur zugeben, dass diese Frage unentscheidbar ist. Dann sollte man sich der Frage zuwenden, ob es besser ist, an Gott zu glauben, als, nicht an ihn zu glauben. Gibt es ihn und man glaubt an ihn: gut. Gibt es ihn und man glaubt nicht an ihn: landet man in der Hölle. Gibt es ihn nicht und man glaubt an ihn: hat man keinen Nachteil davon. Und gibt es ihn nicht und man glaubt nicht an ihn, macht es nichts aus. Es ist also rational, an Gott zu glauben: damit man im Falle seiner Existenz die ewige Seligkeit erlangt.
Eine Wette, die ich selbst ernsthaft schon als Argument für den Gottesglauben von einem Christen gehört habe!
Die Wette hat mehrere Fehler:
1. Natürlich kann man sich nicht entschließen zu glauben (vgl. Bernard Williams); entsprechend kann man auf rationale Weise nur zu einem bestimmten Verhalten kommen, z.B. einem solchen, als ob man glaube. Dass dies dem gemeinten Gott gefalle, ist eine seltsame Annahme. Denn sollte er Missfallen an einem Atheisten haben, dann vermutlich auch an einem, der sich zum glaubenden Verhalten entschlossen hat, weil er einen Vorteil davon zu haben hofft.
2. Woher wissen wir, auf welchen Gott wir bei dieser Wette setzen wollen oder sollen? Vielleicht nimmt ein Gott den Glauben an einen anderen mehr übel als einen Agnostizismus? Ist es der Gott der Christen, der der Juden, der der Moslems, oder überhaupt kein monotheistischer Gott? Und wenn wir es nicht wissen: welche Praxis wird dann diesem Gott wohlgefällig sein?
3. Pascal dachte, dass es kein Nachteil sei, wenn es keinen Gott gäbe, an einen zu glauben. Das stimmt aber möglicherweise nicht, abhängig davon, ob man einen an Gott gebundenen Moralbegriff vertritt: a) weil damit die moralische Grundlage fehlt, b) weil man damit möglicherweise engeren Vorstellungen folgt, als man es gerne würde. Pascal hat diesen Einwand allerdings vorweggenommen, indem er vertrat, dass das gottgefällige Leben eines ohne Laster sei — was auch dann einen Wert habe bzw. besser sei, wenn es keinen Gott gäbe.
Enthalten in: Bertram 2012, 199-206; Levy 2017, 129-132. Tittle 2005, 30-31.
Bernard Williams: Kann man sich dazu entscheiden, etwas zu glauben? In: Ders., Probleme des Selbst. Stuttgart: Reclam, 1978. Englisches Original zuerst 1970.