Gilbert Harman: Thought. Princeton: Princeton UP, 1973, 143-144.
»A political leader is assassinated. His associates, fearing a coup, decide to pretend that the bullet hit someone else. On nationwide television they announce that an assassination attempt has failed to kill the leader but has killed a secret service man by mistake. However, before the announcement is made, an enterprising reporter on the scene telephones the real story to his newspaper, which has included the story in its final edition. Jill buys a copy of that paper and reads the story of the assassination. What she reads is true and so are her assumptions about how the story came to be in the paper. The reporter, whose by-line appears, saw the assassination and dictated his report, whis is now printed just as he dictated it. Jill has justified true belief and, it would seem, all her intermediate conclusions are true. But she does not know that the political leader has been assassinated. For everyone else has heard about the televised announcement. They may also have seen the story in the paper and, perhaps, do not know what to believe; and it is highly implausible that Jill should know simply because she lacks evidence everyone else has. Jill does not know. Her knowledge is undermined by evidence she does not possess.«
Nach einem erfolgreichen politischen Attentat berichtet ein Reporter, der Augenzeuge war, an seine Zeitung, die den Bericht über das Attentat druckt. Gleichzeitig verbreiten jedoch die Parteigänger des Ermordeten, um die Lage zu beruhigen, über andere Medien die Falschmeldung, dass das Attentat missglückte und nur ein Leibwächter erwischt wurde. Jill, die die Zeitung gelesen, aber die Falschmeldung nicht mitbekommen hat, hätte eine „wahre gerechtfertigte Überzeugung“, dass der Politiker ermordet wurde. Es wäre aber absurd zu sagen, dass sie von der Ermordung des Politikers „weiß“, jedenfalls solange die Falschmeldung im Umlauf ist, die ihre Zeitgenossen dazu bewegt, vom Gegenteil überzeugt zu sein.
Dies ist das dritte von drei Gettier-artigen Beispielen, mit denen Harman einen besonderen Gesichtspunkt in die Diskussion des Wissensbegriffs einbringt. Gettier hatte gezeigt, dass jemand eine „wahre, gerechtfertigte Meinung“ (justified true belief) haben kann, ohne dass dies als Wissen zu beurteilen wäre. Was muss also darüber hinaus noch gegeben sein, damit man von Wissen sprechen kann?
Harman geht es hier darum zu zeigen, dass man auch berücksichtigen muss, was gerade nicht bekannt ist („evidence one does not possess“). In dem Gedankenexperiment unterscheidet sich Jill von ihren meisten anderen Zeitgenossen, dass sie den Fernsehbericht mit der Falschmeldung nicht gesehen hat und darum noch keinen Grund hat, die Zeitungsmeldung über das Attentat für unzutreffend zu halten. Aber obwohl sie keinen Grund hat, von etwas anderem überzeugt zu sein, und obwohl es für sie eine quasi lückenlose Kette der gerechtfertigten Gründe gibt, davon überzeugt zu sein, wovon sie überzeugt ist, kann man nicht sagen, dass sie es „weiß“. Denn ihr fehlen Zweifelsgründe, die die meisten anderen haben. Harman meint demnach, dass bestimmte Gründe wichtiger sind als andere, und wenn relevante Gründe in der Rechtfertigung der Überzeugung fehlen, dann kann man nicht von „wissen“ sprechen.
Die Falschmeldung wurde gezielt abgesetzt, um die Ansicht zu erschüttern, das Attentat sei geglückt. Denkt man das Szenario weiter, dann dürfte der weitere Zeitverlauf an die Öffentlichkeit treten lassen, was tatsächlich geschehen ist, weil sich der Tod des politischen Führers nicht dauerhaft verbergen lässt. Wir betrachten also einen Zeitraum der öffentlichen Unsicherheit bzw. des Nichtwissens, der mit der Veröffentlichung der Falschmeldung beginnt. Desweiteren scheint klar, dass dieser Zeitraum des Nichtwissens auch nicht für alle gilt, bzw. dass der Kegel des Nichtwissens, den die Falschmeldung erzeugt, nicht auf alle Zeitgenossen wirkt. So dürfte z.B. der Reporter-Augenzeuge wohl nicht seine eigene Wahrnehmung in Zweifel ziehen, und alle diejenigen, welche er persönlich von seiner Augenzeugenschaft überzeugen kann, dürften auch sein Zeugnis als höher einschätzen als das, was die Falschmeldung sagt. Der Kegel des Nichtwissens wirkt demnach nur auf die Personen in der Distanz, die keine Möglichkeit haben, die Glaubwürdigkeit der Zeugnisse abzuwägen, und für den Zeitraum, in dem keine zusätzlichen Zeugnisse zutage treten.
Bemerkung: Dieses eine von drei Szenarien Harmans ist hier wiedergeben, weil es Eingang gefunden hat in Tittles Anthologie.
Tittle 2005, 124-125.