David Hume: An enquiry concerning human understanding. In: Ders. Essays and treatises on several subjects, vol. 2. New edition. London u.a.: Millar, 1768, S. 1-191. Hier: Section II Of the origin of ideas, S. 20-21.
»Suppose, therefore, a person to have enjoyed his sight for thirty years, and to have become perfectly acquainted with colors of all kinds except one particular shade of blue, for instance, which it never has been his fortune to meet with. Let all the different shades of that color, except that single one, be placed before him, descending gradually from the deepest to the lightest; 'tis plain that he will perceive a blank, where that shade is wanting, and will be sensible that there is a greater distance in that place between the contiguous colours than in any other. Now I ask, whether 'tis possible for him, from his own imagination, to supply this deficiency, and raise up to himself the idea of that particular shade, though it had never been conveyed to him by his senses? I believe there are few but will be of opinion that he can: And this may serve as a proof, that the simple ideas are not always, in every instance, derived from the correspondent impressions; though this instance is so singular, that 'tis scarce worth our observing, and does not merit, that for it alone, we should alter our general maxim.«
Deutsch: David Hume: Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes. Berlin 1869. (Übersetzt von Julius Heinrich Kirchmann) http://www.zeno.org/nid/20009186530
»Man nehme nun einen Menschen, der dreissig Jahre lang sein Gesicht gehabt und mit allen Arten von Farben bekannt geworden ist, eine einzige Schattirung z.B. von Blau ausgenommen, welche er zufällig niemals gesehen hat. Wenn man diesem nun alle Schattirungen dieser Farbe, mit Ausnahme dieser einen, vorlegt, die allmählich von der dunkelsten zur hellsten ansteigen, so wird er offenbar eine Lücke bei dieser fehlenden Schattirung bemerken, und er wird empfinden, dass hier die nächsten Farben mehr von einander abstehen, als sonst wo. Ich frage nun, ob es ihm möglich sein wird, aus seiner Einbildungskraft diese fehlende zu ergänzen und sich die Vorstellung von dieser besonderen Schattirung zu bilden, obgleich seine Sinne sie ihm niemals zugeführt haben? Ich glaube, nur Wenige werden sagen, dass er es nicht könne. Dies kann als ein Beweis gelten, dass die blossen Vorstellungen nicht immer und überall von ihren entsprechenden Empfindungen sich ableiten. Indess ist dieser Fall so vereinzelt, dass er kaum Beachtung verdient, und ich brauche seinetwegen den allgemeinen Grundsatz nicht zu ändern.«
Wenn jemand über Jahre hinweg viele verschiedene Dinge gesehen hätte in den verschiedensten Farbtönen, dabei aber nie einem ganz bestimmten Blauton begegnet wäre, dann hätte er nie aus der Erfahrung die Vorstellung von diesem bestimmten Blauton gewinnen können. Würde er aber nicht trotzdem, wenn man ihm alle die ihm bekannten Blautöne nebeneinander in aufsteigender Tönung auffächerte, erkennen können, an welcher Stelle der Abstand zwischen zwei gezeigten Tönen größer wäre und dass also eine Schattierung fehlte? Und könnte er diese nicht in seiner Vorstellungskraft ergänzen?
Das Gedankenexperiment beschäftigt sich mit der Frage, ob der Verstand Ideen bilden könne, ohne dass vorher entsprechende Sinneseindrücke da waren. Humes Grundthese ist, dass dies für „einfache“ Ideen gilt, während „zusammengesetzte“ Ideen natürlich ohne Inspiration durch die Sinne zusammengesetzt werden können. So können Menschen Vorstellungen von Einhörnern haben, ohne je Einhörner gesehen zu haben, weil die Idee des Einhorns sich zusammensetzen lässt aus der des Pferdes und der eines Horns. Farben sind daher ein spannendes Thema, weil die „Ideen“ der Farben nicht zusammengesetzt sein sollen.
Hume fährt fort, er glaube, dass nur wenige sagen würden, der Mensch könne nicht aus dem Kopf die Vorstellung der fehlenden Farbnuance ergänzen, und das möge als Beleg dafür dienen, dass die einfachen Vorstellungen nicht in jedem Fall von den entsprechenden „impressions“, d.h. Sinnesdaten, abgeleitet werden.
Ich frage mich, ob diese Stelle belegt, dass Hume sich die Farbskala diskret dachte. Denn nur dann kann es ja eine echte Frage sein, ob jemand, der die Vorstellung nicht hat, das Fehlen eines Farbtons bemerkt. Wäre die Farbtafel, von welcher der Proband wählen soll, in Farbübergängen gemalt, so wäre sie an der Stelle des fehlenden Tons bzw. Tonraums mit einem Mal diskret, und das wäre natürlich zu merken; wenn nicht eine solch kontinuierliche Skala mit unendlich vielen Blautönen ausgestattet zu denken wäre, so dass das Fehlen eines bestimmten Tons ohnehin auffallen würde. In jedem Fall fragt sich, ob wir nicht aus unserer Kindergartenerfahrung, dass Farbabstufungen aus der Mischung verschiedener Farben in unterschiedlichem Maße entstehen, Farben ohnehin nicht als einfache 'Ideen' im Kopf haben, sondern als zusammengesetzte. Denn die Fähigkeit zur Neu-Zusammensetzung bereits vorhandener Ideen ist natürlich auch für Hume nichts besonderes.
Enthalten in: Cohen 2010, 36-44; Baggini 2017, 121-123; Tittle 2005, 112-113.