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gedankenexperimente:ewiges_leben

Ewiges Leben / The Makropulos Case

1. Quelltext

»Der Titel meines Essays lautet wie die übliche Übersetzung eines Stückes von Karel Čapek, au sdem Janaček eine Oper gemacht hat. Dieses Stück handelt von einer Frau namens Elina Makropulos, alsias Emilia Marty, alias Ellian Macgregor, alias mehrere andere Personen, deren Initialen „EM“ lauten. Der Vater dieser Frau war Hofarzt eines im 16. Jahrhundert lebenden Herrschers gewesen und hatte an ihr ein Lebenselixier ausprobiert. Zur Zeit der Handlung ist sie 342 Jahre alt. Ihr endloses Leben hat eine Zustand der Langeweile, Gleichgültigkeit und Kälte erreicht. Alles ist freudlos: „Am Ende ist alles dasselbe“, sagt sie, „singen und schweigen“. Sie weigert sich, das Elixiert wieder einzunehmen, und stirbt. […] EM's Zustand deutet zumindest darauf hin, daß der Tod nicht unbedingt ein Übel ist, und zwar […] in dem Sinne, dass es etwas Gutes sein kann, nicht zu lange zu leben.« (Williams 1978, 134)

2. Szenario

Ist ewiges Leben etwas erstrebenswertes? Offensichtlich müssen bestimmte äußere Bedingungen erfüllt sein, damit man dies ernsthaft in Betracht ziehen kann. So dürfte der Körper keine Spuren des Alters annehmen (dies das Gegenargument in Swifts Struldbruggs in Gullivers Reisen, vgl. Guthke, S. 81-84), sondern müsste mit der Leistungsfähigkeit der gesunden Jugend erhalten bleiben. Gesetzt also der Fall, alle äußeren Bedingungen wären ideal: Ist es dann wünschenswert, ein ewiges Leben zu haben?

3. Argumentative Funktion

In der von Guthke dargestellten Tradition der literarischen / fiktiven Szenarien dienen diese vor allem dazu, den Lesern die Vorstellung auszutreiben, ein ewiges Leben sei wünschenswert, damit sie im Umkehrschluss einsehen, dass sie mit der ihnen gegebenen Lebenszeit zufrieden sein können. Lässt man diese erzieherische Absicht beiseite, dann erhebt sich die Frage, ob Menschen so beschaffen sind, dass ein längeres oder gar ewiges Leben für sie wünschenswert ist.

4. Kommentar

Das Szenario zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, anzugeben, welche Bedingungen alle erfüllt sein müssten, damit einem ewiges Leben erwägenswert erscheint. In literarischen bzw. fiktionalen Darstellungen des Motivs ist vor allem die Tatsache von Bedeutung, dass das ewige Leben einer Einzelperson geschenkt ist, die darum alle Personen um sich herum, zu denen sie Bindungen aufgebaut hat, altern und sterben sieht (so etwa in dem Film Highlander von Russell Mulcahy, 1986). Das ist auch in Williams' literarischer Anregung „Die Sache Makropulos“ so; in diesen Geschichten führt das dazu, dass die Helden keine Bindungen mehr eingehen wollen und ihr Leben damit sinnlos wird.

Auch wenn man das Szenario um die Vorstellung ergänzt, dass viele oder alle Personen in der gleichen Weise unsterblich / langlebig sind, kann man sich Schwierigkeiten denken. In Neil Gaimans Comic-Interpretation der „Eternals“ (aus dem Marvel-Universum) ist der Bösewicht der ewig in der Kindlichkeit gefangene Eternal "Sprite", der sich ein Ende seiner Unfähigkeit wünscht, am Erwachsenenleben teilzuhaben.

Der größte Einwand gegen die Wünschbarkeit eines ewigen Lebens scheint aber der zu sein, dass es irgendwann langweilig und damit nicht mehr lebenswert werden könnte. Die philosophische Frage wäre dann, wie bzw. ob ein ewiges Leben gestaltet werden könnte, ohne dass es langweilig wird. Williams meint, das sei nicht möglich, weil einem die „kategorischen Wünsche“ ausgehen würden. Allerdings meint Williams auch, dass diese kategorischen Wünsche durchaus über die Lebensspanne eines gewöhnlichen Lebens hinausgehen könnten. Das liest sich so, als hätte er nichts gegen ein selbstbestimmtes längeres Leben, solange die Möglichkeit bleibt, es zu beenden.

5. Literatur

  • Bernard Williams: The Makropulos Case. Reflections on the Tedium of Immortality. In: Ders., Problems of the Self. Philosophical Papers 1956-1972. London, Cambridge University Press, 1973. Deutsch als: Die Sache Makropulos. Reflexionen über die Langeweile der Unsterblichkeit. In: ders.: Probleme des Selbst. Philosophische Aufsätze 1956-1972. Stuttgart: Reclam, 1978.
  • Karl S. Guthke: Lebenszeit ohne Ende. Kulturgeschichte eines Gedankenexperiments in der Literatur. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2015.

6. Schlagworte

Identität Ethik

gedankenexperimente/ewiges_leben.txt · Zuletzt geändert: 2020/01/03 17:30 von jge