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gedankenexperimente:ewige_wiederkehr_des_gleichen

Ewige Wiederkehr des Gleichen

1. Quelltext

Quelle: Friedrich Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft. 1882 § 341. http://www.zeno.org/nid/20009253920

»Wie, wenn dir eines Tages oder Nachts ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: ›Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Mal erleben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wiederkommen, und alles in derselben Reihe und Folge — und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht — und du mir ihr, Stäubchen vom Staube!‹ — Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: ›du bist ein Gott, und nie hörte ich Göttlicheres!‹ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei allem und jedem: ›willst du dies noch einmal und noch unzählige Male?‹ würde als das größte Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müßtest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach nichts mehr zu verlangen als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?«

2. Szenario

Wenn man wüsste, dass sich das eigene Leben wiederholen würde in derselben Form, in der man es aktuell erlebt, welches Gewicht hätte dies für jede Handlung und jede Entscheidung? Und was wäre, wenn sich das Leben nicht einmal, sondern viele Male, bis in alle Ewigkeit, auf diese Weise wiederholte? Würde das jeder Handlung „das größte Schwergewicht“ geben?

3. Argumentative Funktion

Nietzsche entwarf sein Szenario als Appell: sein Leben so zu führen, dass die Handlungen und Entscheidungen dem Wissen um solche Wiederholung standhalten, zugleich sicher auch als Aufforderung, sich eine entsprechende Geisteshaltung anzueignen.

4. Kommentar

Tittle (2005, 9) entnehme ich, dass Nietzsche den Gedanken für wahr gehalten hat, mit etwa der folgenden Begründung: Es gibt keinen Gott. Darum hat es keine Schöpfung gegeben, also keinen Anfang, also ist die Zeit unendlich. Da die Zahl der Dinge aber und die Möglichkeit ihrer Kombination endlich ist, wird sich alles wiederholen.

Dies ist, scheint mir, eine Übersteigerung des Infinite Monkey-Szenarios, denn in der Tat kann man dort natürlich genauso gut vertreten, dass die Affen die Werke Shakespeares nicht einmal, sondern mehrfach, ja unendlich oft schreiben.

Der Gedankengang hat seine eigenen Fehler. Hier möchte man einfach mit Kafkas Auf der Gallerie fortfahren: »Da dem aber nicht so ist …«

Roy Sorensen erwähnt in seinem Buch Thought experiments (S. 13) eine Art Gegenargument von Georg Simmel, das dieser 1907 publizierte. Allerdings scheint mir Simmel, wenn Sorensen in seiner Darstellung recht hat, Nietzsches Gedankenexperiment zu verfehlen. Simmel zeigt, dass bei linearem Zeitverlauf eine Anordnung von Ereignissen denkbar ist, die sich unmöglich exakt wiederholen lässt. Damit ist gezeigt, meint Sorensen, dass die 'Ewige Wiederkehr' nicht möglich ist. Ich sehe allerdings nicht, warum sich eine Welt, in der es Dämonen gibt, an solche Naturgesetze halten müsste!

5. Literatur

Enthalten in: Praxis 2015, 58-65; Tittle 2005, 8-9; Bossart 2018, 28-31.

6. Schlagworte

  • Nietzsche, Friedrich (1844-1900)
  • Ontologie und Metaphysik
  • Ethik
  • Klassisches Gedankenexperiment
gedankenexperimente/ewige_wiederkehr_des_gleichen.txt · Zuletzt geändert: 2019/01/02 17:05 von jge